Die Beilackierung - Teil IV

September 2o13 Eine Resolution wird zum Merkblatt

Nicht zu glauben, aber 1¼ Jahr später erschien ein von fünf unterschiedlichen, dem KFZ-Gewerk zugehörigen Verbänden anerkanntes und für gültig erklärtes Merkblatt. In diesem werden nun „Die Gründe für Farbtondifferenzen und die Notwendigkeit der Beilackierung“ ausführlich beschrieben und begründet (Nachzulesen ab 2020 im Merkblatt der IFL vom Januar 2014 mit Klick auf den blauen Link).
Erst letzte Woche (Nov. 2013) hatte ich wieder auf eine Prüfung unseres Reparaturkostenvoranschlages seitens einer Sachverständigenorganisation zu reagieren. Die Situation: Haftpflichtschaden an einem Škoda Oktavia, Farbton LF3W Flamencorot Perleffekt, u.a. Motorhaube und Stoßfänger V zu erneuern. Der sich mit dem Fall befassende Gutachter konnte ein Beilackieren der angrenzenden Teile keine Notwendigkeit empfinden. Auf meinen entschiedenen Einspruch wider dieser praxisfernen Beurteilung erfolgte eine Besichtigung des reparierten Fahrzeuges, an welchem wir natürlich die beiden Teile mitlackiert und so auch berechnet hatten.
  Skoda Front beilackiert
Zum Glück befand sich das Gefährt noch in unserer Werkstatt, sodass ich Zeuge der Aussage des Gutachterkollegen hier vor Ort sein durfte. Dieser bestätigte auf Grund der liegenden Flächen der drei Teile, dass man sehr gut die Farbtöne vergleichen könne und sogar ein geringer Farbtonunterschied, auch bei vorhandener Abfalzung der Motorhaube, sofort zu bemerken gewesen wäre. Heute, am 13.11.2013 wurde die Rechnung vollends bezahlt....

Juli 2o14 Schwere Entscheidungsfrage

Vom AUTOHAUS.de erschien online ein Artikel, der ein nun neues AZT-Merkblattes zur Beilackierung widerspiegelt. Diese legen nun plötzlich die Entscheidung um die Beilackierungsfrage in die Hände des praktizierenden Lackierers. Oha!!! Im August fordert der Zentralverband Deutsches Kraftfahrzeuggewerbe (ZDK) in einem Rundschreiben als Antwort auf das neue Pamphlet, dass schon der Gutachter/Sachverständige über die Notwendigkeit einer Beilackierung zu entscheiden hat.

Gutachter/Sachverständige chancenlos überfordert
in einer faktischen Entscheidung über die Notwendigkeit einer Beilackierung. Ein Gutachter/Sachverständiger:

  • ist in den wenigsten Fällen gelernter Lackierer, und wenn ja, meist schon lang der Praxis fern.
  • kann naturgemäß kaum die Notwendigkeit der Beilackierung bei bestimmten Unifarbtönen wie Weiß, Schwarz oder Gelb nachvollziehen.
  • erhält durch fehlerhafte Datenbanken seiner Kalkulations-EDV falsche Aussagen zum Lacksystem. Die VIN-Abfrage im Zugriff auf Audatex-Datenbanken gibt keinen wirklichen Aufschluss darüber, ob ein Fahrzeug Metallic, Pearl oder Xyrallic lackiert ist. Erst das Aufsuchen der Farbrezeptur im lackherstellereigenem Farbmischprogramm gibt detaillierte Auskunft (Siehe Bildserie rechts!).
  • hat keine Möglichkeit, eingefärbte Klarlacküberzüge entschieden auszumachen. Hierzu ist ebenfalls die Lackhersteller-Software nötig.
  • kennt nicht die "Stärken und Schwächen" der bei der Reparaturlackierung zur Anwendung kommenden Lacklieferanten des Reparaturbetriebes.
  • verfügt maximal über ein Basiswissen zum Thema Farbmesstechnik, das sich meist nur auf Werbeaussagen und Vorführungen in Schulungszentren stützt. Sie haben keine reale Langzeiterfahrung aus täglichem Umgang mit den Messgeräten, kennen deshalb auch nicht den Frust, wenn Farbtöne verschlechtert herauskommen oder erst gar nicht berechnet werden können.
  • können eine zu erwartende Reparaturflächengrößen allenfalls nur schätzen: Teilweise erstrecken sich augenscheinlich leichte Verwerfungen im Blech oder Dellen NACH der Instandsetzung und des geschliffenen Spachtelfleckes großflächiger, als es mitunter auch ein Meister im Lackierbetrieb selbst angenommen hätte.
  • unterliegt mitunter dem Hang zu schmal gehaltenen Gutachten, besonders, wenn er im Dienste von Assekuranzen steht: Wessen Brot ich ess'. dessen Lied ich sing'!

All das ist völlig normal und deshalb verzeihlich. Und nicht jeder Gutachter/Sachverständige ist gleich. So wie unter unseren Fachkollegen selbst, gibt es gute und weniger tolle. Auch dort fördert jahrelange Praxis das Ergebnis guter Leute.

Und doch ein paar Gründe zugunsten
des Sachverständigen?

Mittlerweile sollte sich bis zum letzten Gutachter/Sachverständigen herumgesprochen haben, dass das Beilackieren zu 80-90 % der Regelfall ist. Eigentlich weist doch JEDE auf Kante gespritzte Effektlackierung bei wirklich kritischer Betrachtung und wechselnden Lichtverhältnissen sichtbare Unterschiede auf.

  • Bei Austausch von effektlackierten Karosserieteilen sollte das Einlackieren in die angrenzenden Teile GENERELL als gültige Regelnorm endlich anerkannt und so auch kalkuliert werden.
  • Langjährig im Geschäft praktizierende Gutachter/Sachverständige, die in den Jahren ihrer Tätigkeit genügend Dialoge mit Lackierern führten, genügend gute, wie auch miserable Lackierungen sahen und beurteilen mussten, entwickeln durchaus ein Gespür für sensible Lackierungen. Denen eine Entscheidungskompetenz vollends abzusprechen, empfinde ich falsch und in ihrer Berufsehre höchst erniedrigend.
 
Die Vehicle Identification Number (VIN) ermöglicht
die Online-Abfrage der Charakteristika eines Fahrzeuges




Falsche Datenübermittlungen und -bezeichnungen
sind Ursache für Fehler bei der Gutachtenerstellung





Die Farbtonsuche am Mischcomputer zeigt, dass es
sich um keinen Metallic- sondern einen Pearleffect-
Ton handelt
Wenn ausschließlich der praktizierende Lackierer über ein Beilackieren zu entscheiden hat, wie dies das AZT wünscht, stellt solch ein Arbeitsprozess eine zusätzliche Erweiterung des Reparaturauftrages dar. Abrechnungsprobleme mit Versicherungen sind folglich vorprogrammiert, da diese sich oftmals mit Fokus auf Kosteneinsparung auf das Gutachten stützen.

Im Dialog die Lösung suchen

Dass wir als Fachlackierer nun vom AZT favorisiert werden, mag uns auf den ersten Blick schmeicheln. Endlich einmal wird UNSERE Praxis über die auf fremderstellte Datenbanken basierende Theorie der Sachverständigen gestuft. Deren Merkblatt von 2004 findet man nun kaum noch im Internet. War das AZT damals noch so hinterm Mond, dass alle anderen die allgemeine Notwendigkeit zur Beilackierung, meist sogar in benachbarte Teile sahen, sie selbst aber andere Schlüsse zogen? Aus langen Erfahrungen argwöhnisch geworden, könnte heute hier eine geänderte Taktik vermutet werden. Wollte man einst die Beilackierung ins angrenzende Teil aus Gründen der Kostenreduzierung quasi mit einem Bann belegen, musste man sich letztendlich der allgemeinen Praxis-Realität stellen, jedoch nicht kampflos. Wenn nämlich dem Sachverständigen die Kompetenz zur Entscheidung über eine Beilackierung abgesprochen wird, seine Gutachten somit diesen Arbeitsschritt nicht mehr aufweisen, könnte das im Großen gesehen immer noch eine enorme Kostenersparnis für die Assekuranzen bedeuten.

Das würde wohl dann in erster Linie die fiktive Abrechnung nach Gutachten betreffen. Der Gesetzgeber hat mit der Möglichkeit, nicht erbrachte Rep-Leistungen nach spekulativer Schadenseinschätzung abzurechnen, das Tor zu Pfusch- wie auch Schwarzarbeit und somit zur massiven Steuerhinterziehung geöffnet. Sie drückt Betriebe, die händeringend Aufträge brauchen, zu kaum kostendeckenden Dumpingpreiskalkulationen.

Halbherzigkeit des Allianzzentrums für Technik zwingt zur Kooperation

Der allgemeine Schrittmacher für Versicherungen und das Instrument der Allianz an sich, das Allianzzentrum für Technik in Ismaning, als auch die Assekuranzen selbst machten bislang keine definitive Aussage, dass zusätzlicher Aufwand zum Farbtonangleich, der bei der Bearbeitung eines Reparaturauftrages anfällt, GENERELL bezahlt wird. AUCH im Kaskoschadenfall wäre das dringend nötig! Gerade dort sind Streitereien an der Tagesordnung! Wir Lack-Reparaturbetriebe sind wie auch Automechaniker zur Erbringung einer fachgerechten Arbeit verpflichtet! Dazu gehört zweifelsohne auch die unsichtbare Reparatur!
Solange die nachweislich ausgeführte Beilackierung kein verbrieftes Recht auf Bezahlung seitens der Versicherer erlangt, bleibt uns Lack-Handwerkern nur die Alternative zur Symbiose: Die geschlossene, wechselseitige Zusammenarbeit mit Gutachtern und Sachverständigen zu suchen und gemeinsam zu gestalten.

 

April 2016 - Entscheidung hin - Entscheidung her

Dass in der Beilackierungsfrage immer noch Uneinigkeit besteht, beweist die Presseinformation des AZT als Stellungnahme zum Thema Beilackierung vom 19. Februar 2016, welches leider nicht in einer Rundinformation ALLEN lackierhandwerksbetreibenden Betrieben zugestellt, sondern erst im April des Jahres den Abonnenten des Lackiererblattes zugänglich wurde. Immer noch dreht sich die Allianz wie ein Wurm um die Debatte, WER zu entscheiden hat, ob beilackiert wird oder nicht. Erstaunlich ist, dass gerade in DIESEM EINEN Falle die Meinung des praktizierenden Handwerkers über die eines sogenannten Sachverständigen erhoben wird. Kaum zu glauben, denn in allen anderen Fragen hat meiner bitteren Erfahrung nach meist das Wort des Theoretikers den Sieg im Streit um erstattungsfähige Leistungen oder der Entscheidung zu einem Reparaturweg davongetragen. Nur in zähen Auseinandersetzungen, mündlich wie schriftlich, und im Erbringen von nicht zu widerlegenden Beweisen gaben Versicherungen letztendlich Forderungen der Reparateure nach.

Schreibtischtäter schmücken sich gerne mit Ablaufdiagrammen, weniger sind Arbeitsanzüge beliebt. Dem hirnlosem Lack-Nigger macht man es ja sooo einfach. Folge mit dem Finger den Pfeilen, entscheide, ob JA oder NEIN und voilà - ein Glück, dass ihm so gut geholfen wurde. Wie haben wir Lackierer all die Jahre OHNE Diagramm überhaupt eine Reparaturentscheidung treffen können, fragt sich da der schlipsgeschmückte Laie. Noch nicht einmal der geschulte Sachverständige braucht so etwas, denn der hat ja ohnehin schon Sach-Verstand!

Ein weitere Merkwürdigkeit fiel mir bei der Lektüre der Presseinfo auf, ich zitiere: "...Danach kann die Entscheidung über eine erforderliche Beilackierung von angrenzenden Teilen nur vom ausführenden Lackierfachmann anhand der von ihm gespritzten Farbmuster getroffen werden." Hier wird bewusst die Pluralform für Farbmuster verwendet. Nun, bisher dachte ich aber, dass pro Auftrag nur EINMAL Farbe mischen und EIN Farbmuster erstellen berechnet werden darf. Kollegen, schreibt an meine e-Mail-Adresse, wenn ich falsch liege! Ich habe noch nie gehört, dass jemand drei oder fünf Musterbleche erstellen (mit jeweils 3 AW) und zusätzlich eine Position von Farbton nuancieren berechnet und bezahlt bekommen hat. Da wäre er ja besser dran, als die mickrigen 7-9 AW für das Lackieren eines benachbarten Anbauteils in Lackstufe L (Oberflächenlack)!!! Das Herumprobieren mittels Nachtönen und Musterbleche spritzen, diese mit Klarlack zu überziehen und jedes Mal zwei Pistolenreinigungen dazu mit einem nicht mal dem Aufwand entsprechenden 100%igen Ergebnis ist a) so unökonomisch und b) so absurd jeder Vernunft, dass man letztere bei den Verantwortlichen im AZT anzweifeln sollte.

Anstatt die Gesetzgebung zu reformieren, welche dem Geschädigten die fiktive Abrechnung bis ins kleinste Detail ermöglicht, wird IMMER NOCH und ÜBERHAUPT um eine Beilackierung JA oder NEIN debattiert. Da niemand Viertelquadratmeter-Musterbleche fertigt, kann selbst ein Weißfarbton auf Muster und Fläche gespritzt totale Differenzen zeigen. Ein wesentlicher Grund, weshalb ich bei Weiß-, Gelb- und sogar manchen Schwarzfarbtönen für ein übergehendes Ein- bzw. Auslackieren plädiere. Schön, wenn es die begrenzte Ausdehnung des Füllerfleckes ein solches Vorgehen IM Reparaturteil selbst ermöglicht. Ein nachträgliches Einlackieren des Nachbarteiles bringt die gesamte Lackkalkulation in eine unwirtschaftliche Schieflage. So beschreibt es auch die sehr praxisorientierte Handlungsempfehlung zur Farbtonbestimmung und Kalkulation des IFL (Instituts für Fahrzeuglackierung). Höchst interessant dabei das Beispiel für den Prognoseaufwand zur Feststellung Farbtonangleich ja oder nein! Nichts davon steht in der Stellungnahme des Allianz-Zentrums....

Das alles macht die Zwangslage des AZT als Werkzeug der Versicherung offensichtlich. Fokus ist ja eigentlich, die fiktive Abrechnung nicht unnötig ausufern zu lassen. Dumm ist nur, dass es offenbar keinen Weg gibt, dem Lackierer generell die Beilackierung zuzusichern, aber auf Grund einer einstmals ausgearbeiteten mangelhaften Gesetzgebung die fiktive Abrechnung dafür auszuschließen. So wählt man eher den Weg der Konfrontation mit dem Lackierer anstatt mit der Gesetzgebung. Schließlich wird ja im Schlußsatz der Presseinfo deutlich darauf verwiesen, dass ja die Versichertengemeinschaft den höheren Erstattungsaufwand für Beilackierungen mit gesteigerten Versicherungsprämien tragen muss. Und wer will das schon??? (Lesen Sie zu diesem gesamten Abschnitt auch die aktuellsten Erfahrungen auf Seite 5 dieses Beitrages, Rev. 2018)


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