Die Beilackierung - Teil VI

März 2017 AZT macht länderweit Unterschiede

Zu dieser Zeit wurde ich auf ein Newsletter des Allianz Zentrums für Technik AZT aufmerksam. Es handelt sich um ein Dokument namens AZT Release Note_28.1_DE-1, welches Sie, sehr verehrter Besucher dieses Beitrages im Internet mit Klick auf den eben erwähnten Titel einsehen können (Stand 02-2018). 

Als jahrzehntelanger Anwender des C@risma-Kalkulationsprogrammes und fast ausschließlicher Anwender der flächenbezogenen AZT/Schwacke-Lackiermethode, welche wir gegenüber der herstellerbezogenen Berechnung von Lackarbeiten als wesentlich gerechter empfinden, wir trauten unseren Augen nicht:
Im merkwürdigerweise für die Schweiz gültigen Newsletter wurde das Zusatzfenster AZT geändert und „nach den neuen Richtlinien der AZT angepasst“. Bis dato 19-02-2018, als ich diesen Beitrag schreibe, ist diese Richtlinie in Deutschland NICHT angekommen!
Im Dokument sind Screenshots der betreffenden Fenster zu sehen, in denen der Schweiz offensichtlich mehr abrechenbare Positionen zugebilligt werden, als das hierzulande gang und gäbe ist. Solche anklickbaren Positionen sind dort neben Farbemischen, Musterblech erstellen und Abdeckarbeiten KS-Teile:

  • Hersteller Farbe / Farbcode finden (Standardvorgabe 1 AW)
  • Entfetten und reinigen (Standardvorgabe 4 AW)
  • 2-Farbenlackierung (Standardvorgabe 1 AW)
  • Abdeckarbeiten für angebaute Kunststoff-Karosserieteile (Standardvorgabe 2 AW)
  • Abdeckarbeiten Scheibe (AW manuell nach Aufwand einzugeben)

Modifizierbare Werte
Ausdrücklich wird in diesem Release auch die Möglichkeit der manuellen Anpassung der Standardvorgaben an die tatsächlich angefallene Arbeitszeit vorgestellt. Wenn ich also zum Erreichen des passenden Farbtones 3x Farbe mischen, dazu 3 Spritzmuster zum Vergleich fertigen muss, dann darf ich auch 3x3 = 9AW und ebensoviel Zeit für die Farbmuster berechnen!!! Im Geiste sehe ich schon das Gutachterwesen in Ohnmacht fallen. Sicherlich wird es da auch zu Kürzungen kommen, da zunächst Betrug und unverschämte Geldgier der Handwerker vermutet wird. Dringend empfehlenswert wäre deshalb immer Fotos von erstellten Farbmustern, Screenshots vom Farbmischprogramm mit Auflistung der teilweise zahlreichen Formelvarianten (welche belegen, dass ein betreffender Farbton schon werksseitig nicht in gleichbleibender Qualität zu liefern ist), Bildschirmfotos der Historie, die mehrfaches Anmischen des Farbtones eines Auftrages beweisen, das alles der Reparaturrechnung beizulegen!

Die Arbeitszeit des Weges zur einem adäquat verwendbaren Farbton hat ebenso variabel abrechenbar zu sein, wie eine Instandsetzungszeit, die je nach Kompliziertheit eines Schadens anzupassen ist! 

Schließlich beinhaltet die jeweilige Position bei AZT das EINMALIGE Farbemischen und das Fertigen EINES Spritzmusters. Salopp wird dann von einem evtl. Nachnuancieren gesprochen, jedoch nicht, dass dieser Aufwand berechnet wird! Wir selbst haben April/Mai 2017 einen Lexus GS300 Bj. 2001 mit dem Farbton 8P8 Navy Blue/Dk. Blue Onyx P.2C (Pearl 2-Coat - Perl 2-Schicht) zu reparieren gehabt. Trotz mehrfach wiederholter Farbmessung uns SIEBEN Musterblechen war uns kein Erfolg beschieden. Im ChromaWeb suchten wir weltweit nach den Mischformeln, welche ihren Ingredienzen zu urteilen nach am „reinsten, saubersten“ zu vermuten waren. Auch die an sich als beste zu vermutende Rezeptur aus Korea - niente! Noch nichtmal gut zum Beilackieren!!! Dann machten wir uns an unsere eigene „Pinwand“ ran. Schätzungsweise über 1000 Farbmuster hängen archiviert nach Fahrzeugherstellern im Büro. Die manuelle Suche ergab den Audi-Farbton LZ5A Tiefseeblau P.2C, Alternative 3, nicht perfekt, aber das geringere Übel - gut genug zum Einlackieren und Erreichen einer unsichtbaren Reparatur!  

                   7 Farbmuster 

Der Gutachter der CarExpert konnte anhand der mitgelieferten Bilder den Sachvorgang plausibel nachvollziehen, fand es zwar sehr ungewöhnlich, dass so ein Aufwand betrieben werden musste, gab aber auf Grund belegender Dokumentation unserer Vergütungsforderung statt.

Fragen zum Release 28.1 bleiben offen. Zwei Monate nach meiner Anfrage bei AUDATEX (August und September) hüllt man sich in Schweigen. Inoffiziell erfuhr ich, dass dieses Release für Deutschland nicht angewendet werden soll....


Januar 2018 Erfreuliches aus dem Hause AUDATEX

Was machen Sie als Handwerker und Fahrzeugreparierer, wenn AUDATEX keine Arbeitswerte vorgibt, obwohl wissentlich Zeit dafür aufgewendet werden musste? Sie kreieren eine eigene Position, die dann aber evtl. noch als „subjektiv“ von IHNEN erstellte Position gestrichen oder deren Arbeitswerte in Frage gestellt werden. Da ist es wesentlich besser, wenn eine größere Gemeinschaft im AUDATEX fehlende Positionen aufgreift und gebündelt als eine Art Standardwerk den Nutzern zur Verfügung stellt....

Nach einem Programmupdate ein Smiley für das Datenunternehmen AUDATEX: Die schon seit 2015 von der Interessengemeinschaft für Fahrzeugtechnik und Lackierung e.V. IFL veröffentlichten „frei wählbaren Zusatzpositionen“ für Tätigkeiten, die nicht in den Kalkulationssystemen berücksichtigt waren, sind nun mit einem separaten Button anwählbarer Bestandteil unseres C@risma-Kalkualtionsprogrammes geworden.

                  

Trotzdem kann es immer noch zu Kürzungen durch Prüforganisationen, wie die CarExpert oder Claims Controlling kommen. Und das derzeit noch aus folgenden Gründen, wie ich aus einer Korrespondenz mit der IFL erfuhr:
In den meisten Fällen arbeiten Sachverständige mit dem Programm AudaFusion. Hier wurde die IFL-Liste bislang (02-2018) noch nicht implementiert. Soll aber demnächst geschehen. Eine Anfrage bei DAT ergab, dass in der SilverDAT calulateEXPERT als auch in DYNAREX sind die IFL-Positionen bereits eingepflegt. Letzte Erkenntnisse ließen mich erfahren, dass einige Versicherungen ihren Schadenmanagementfirmen untersagen, IFL-Positionen enthaltende Reparaturrechnungen einzureichen. Ein Affront gegen die freie Marktwirtschaft! Höchst interessant der Kommentar des Vorsitzenden der IFL, Peter Börner, zu deren frei wählbaren Positionen!

Anmerkung: Die IFL veröffentlicht sukzessiv technische Mitteilungen und Reparaturanleitungen zahlreicher Fahrzeugmarken. Auf ihrer Seite sind Beispiele einzusehen, wobei die vollständige Liste von Data Sheets sich nur registrierten Mitgliedern eröffnen. Verständlich!

Quod licet Iovi, non licet bovi

„Was dem Jupiter erlaubt ist, ist dem Ochsen nicht erlaubt!“ Diese von Assekuranzen praktizierte Doppelmoral muss endlich beendet werden. In von „autorechtaktuell.de“ veröffentlichten Gerichtsurteilen wird man des Öfteren fündig, wenn es um das Thema Beilackierung geht. Wie auch das Urteil des Landesgerichts Aachen vom 24.10.2017: Beilackierung bei Metallic auch fiktiv erstattungsfähig!

Liebe Versicherungen, geht’s noch? Dass es überhaupt eine fiktive Abrechnung für nicht erbrachte Leistungen gibt, ist in den Augen von uns Handwerkern und Werkstattbetreibern ohnehin schon ein Unding an sich. Der Geschädigte bekommt eine finanzielle Leistung, um sein beschädigtes Fahrzeug fachmännisch wieder herrichten zu lassen, nicht aber, um sich z.B. auf Mallorca das Leben zu versüßen!
Andersherum werden von der Werkstatt real erbrachte Tätigkeiten, wie Beilackier-, Verbringungs- und Kleinmaterialkosten, gestrichen? Geleistete Arbeiten und deren Vorgehensweisen werden angezweifelt und rigoros heruntergesetzt (z.B. bei der Kunststofflackierung LE2 auf LE1) oder ganz eliminiert. Jeder vernünftig denkende Mensch fasst sich da an den Kopf, wenn keine nachweislich erbrachte Leistung bezahlt wird, geleistete Reparaturarbeiten nicht?

2019 - Lebensnah oder eher lebensfern?

Das Thema der Beilackierung JA oder NEIN ist auch im sich neigenden 2019 nicht vom Tisch, wie der Beitrag „Notwendig, sachgerecht, unsichtbar“ des Lackiererblattes vom November, Seite 56, belegt.

Aber ein Urteil wurde gesprochen. Das Amtsgericht Northeim stellte sich am 13-08-2019 auf die Seite des Lackierers versus Versicherung, die sich stützend auf eigens erhobener Klauseln weigerte, das auch im Kaskofall für eine unsichtbare Reparatur notwendige Beilackieren in benachbarte Teile zu bezahlen. Seit Jahrzehnten schon wissen Lackierer um diese Problematik und weichen dem Streitfall viel zu oft aus, indem das Einlackieren zwar gemacht, aber nicht berechnet, quasi der Assekuranz „geschenkt“ wird.

Wir sind uns einig (sofern ich bei Ihnen, verehrter Leser einen „lebensnahen“, gesunden Menschenverstand voraussetze), dass die „unsichtbare“ Reparatur, d.h. farbunterschiedsfrei das Lackkleid eines Fahrzeuges hinzubekommen, zweifellos Bestandteil einer „fachmännischen Instandsetzung“ ist. Der Widerspruch, in welchen sich eine Versicherung begibt, wenn sie auf der einen Seite fachmännische Qualität fordert, auf der anderen Seite mit Verweis auf ihre vertraglich fixierten Bedingungen das Begleichen dieser Arbeit verweigert, ist absolut sonnenklar und offen sichtbar. Somit ergibt sich zwangsläufig der Fakt, dass bei den Initiatoren von Rechnungskürzungen im Falle von ausgeführten Beilackierungen eine gewisse „lebensferne“ Realitätsentrücktheit zu diagnostizieren ist….

2020 Thema vom Tisch?

Bei Weitem nicht! Auch im 30. Jahr der Wiedervereinigung Deutschlands, in welchem uns Corona, Rassendiskriminierung und Nazi-Themen beschäftigen, sind ungerechtfertigte Rechnungskürzungen seitens vieler Versicherer und Streitereien um die Notwendigkeit des Einlackierens in angrenzende Fahrzeugteile, besonders im Kaskofall weitere Sorgen der Lackierbetriebe. Zum Nachlesen füge ich hier mal das Dokument der IFL 2020-02 Aktuelle Information zur Erforderlichkeit der Beilackierung in angrenzende Teile ein, in welchem sehr detailliert auch auf Kaskofälle und fiktive Abrechnung eingegangen wird. Teils mit Rechtsanwaltskommentaren und Gerichtsurteilen.

Nur wenn viele ihre Rechte einfordern, kann das den Markt verändern! Also erzählen Sie's weiter!


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